Die Wolfsgrube.

Der Weg durch den dichten Wald schien endlos zu sein. Immer wieder zeigte sich eine Biegung und ich dachte: ‚Nun muss doch endlich der Wegweiser zu sehen sein‘. Doch nichts geschah, außer diesem merkwürdigen Knacken, welches mal links und dann wieder rechts im Unterholz zu hören war.

Zum Glück schirmte der Wald die Hitze etwas ab, dennoch rann mir der Schweiß von der Stirn hinab. Ich musste blinzeln. Ein Zitronenfalter gaukelte vor mir auf dem Weg, bis er sich auf die leuchtend lila Blüten der Kratzdistel am Wegesrand nieder ließ, während ich weiter den Waldweg entlang schritt. Dann endlich, hinter der nächsten Kurve sah ich den Wegweiser stehen, der mir die Richtung zur Wolfsgrube weisen sollte. Daneben stand jemand mit einer Wanderkarte vor dem Gesicht, sichtlich unentschlossen, welchen Weg gegangen werden soll. Das war auch verständlich, denn dem Wegweiser fehlten die Richtungszeiger, diese lagen abgerissen im nahen Dickicht. In meinen Augen ist das eine verurteilungswürdige vandalistische Tat!

Die Person hinter der Karte entpuppte sich als hübsche Frau mit dunklen Augen und einem durchdringenden Blick, der mich innerlich ein wenig erschaudern ließ. Sie fragte mich, wie man zur Wolfsgrube kommt, der Wegweiser sei ja unbrauchbar. Da hatte sie natürlich recht. Man kann an den Zufall glauben oder auch nicht, aber ich wollte ja auch dorthin. Mithilfe der modernen GPS-Gerätschaft war der Weg schnell gefunden und wir liefen nun gemeinsam weiter in den Wald. Es ging nun es leicht bergan.

Sie erzählte von sich, was sie macht und tut und es klang recht plausibel. Jedoch schien sie mir trotzdem etwas zu verbergen. Ich ließ mir nichts anmerken und erzählte auch ein wenig über mich, jedoch ohne zu viel von mir preiszugeben. Sie saugte meine Worte sichtbar in sich auf.

Eine reichliche Viertelstunde später hatten wir die Grube erreicht. Die Hinweistafel daneben sagte, dass die Grube mehrere hundert Jahre alt sei und dort Wölfe gefangen wurden, weil es dafür einen guten Taler gab. Zudem sei vor vielen Jahren eine Magd, welche im Wald Holz sammelte, dabei unglücklich in die Grube gestürzt, in die kurz zuvor schon ein Wolf hineingeraten war. Die beiden mussten eine ganze Nacht zusammen verbringen, bis der Jäger am nächsten Morgen bei einem Kontrollgang den Wolf entdeckte und erschoss. Die Magd war gerettet. Sie hatte den Wolf die ganze Nacht in Schach gehalten. Wie sie das schaffte, wurde niemals geklärt.

Nachdem ich die Zeilen gelesen hatte, sah ich zu der Frau hinüber und sie sah mich vielsagend an. Ihre Augen blitzten und ihr Lächeln war nicht von dieser Welt. So langsam begriff ich, was hier vor sich ging. Ich versuchte, die Fassung zu behalten und mir nichts anmerken zu lassen. Dann kam die Frau auf mich zu.

Die Nacht hatte schon begonnen, als ich die Augen öffnete. Mein Kopf war ziemlich benebelt. Nachdem ich mich gesammelt hatte, bemerkte ich, dass ich in der Grube lag und mit Kieferzweigen zugedeckt war. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass fast zehn Stunden seit der Ankunft vergangen waren. Ich versuchte aufzustehen und bemerkte, dass meine Unterarme Kratzspuren aufwiesen, mein Shirt war etwas zerrissen. Eigentlich sah mein ganzer Körper ziemlich beschunden aus, dennoch verspürte ich kaum einen Schmerz.

Ich blickte mich um. Natürlich war die mysteriöse Frau verschwunden und so auch ihr durchdringender Blick. Meine Kehle war ausgetrocknet und ich hatte einen Riesenhunger. Ich stand etwas hilflos da, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Meine rechte Hand erfühlte etwas kleines Rundes. Neugierig zog ich es aus der Hosentasche und hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger ins fahle Mondlicht. Es war eine bleierne Gewehrkugel.