Warum ich im Campingurlaub Modern Talking hörte

Sommer 1985. Die Zeugnisausgabe der 8. Klasse war zum Greifen nah, der Campingurlaub in die ČSSR mit den Eltern und dem kleinen Bruder lange geplant. Die Vorfreude war riesig.

So ein Campingurlaub mit vier Leuten muss akribisch vorbereitet werden. Zur Verfügung stehen ein PKW Trabant 601S deluxe (saharagelb mit papyrusweißem Dach) sowie ein Anhänger mit Flachplane (Typ HP 350.01 aus dem VEB Stanz- und Emaillierwerk Großenhain). Neben der Familie, den Luftmatratzen und Schlafsäcken, den Campingmöbeln, der Bekleidung, Kosmetik und weiterem Kram muss das riesige Steilwandzeit (Modell Greifswald von Pouch) mit der Doppelschlafkabine auch mit. Schon allein die Zelthaut wog 25 kg, die Innenkabine 15 kg und das Gestänge 24 kg. Dazu kam noch eine 6 kg Gasflasche samt zweiflammigem Kocher und jede Menge Konserven, denn es war Selbstversorgung* angesagt. 

* Grund war die Limitierung von 1.500 tschechischen Kronen, die in bar mitgeführt werden durften. Der Höchst-Umtauschsatz pro Tag und Person lag bei 40 DDR-Mark, welches vorher bei der Staatsbank mit einem Kurs von 1:3 (für eine Mark gab es drei tschechische Kronen) taggenau getauscht wurde. Schon hier wird klar, dass eine minutiöse Planung von Benzin- und Nahrungsmittelkosten unabdingbar war. Zudem waren die Grenzer ziemlich geschult, was Geldverstecke in ostdeutschen PKW anbelangt. Jedes Mal fuhr ein wenig die Angst mit, ob man kontrolliert wird oder nicht. Als Kind habe ich das eher als Abenteuer gesehen, aber meine Eltern haben sicher ordentlich geschwitzt wegen ein paar mehr heimlich mitgeführten Kronen, damit wir auch mal als Familie im Urlaub Gulasch mit Knödeln im Restaurant essen konnten.

Jedenfalls packten meine Eltern am Vorabend des großen Abenteuers Auto und Anhänger. Mein Vater hätte sicher den Tetris-Wettbewerbung gewonnen, so präzise verstaute er die einzelnen Packstücke. Am Tag darauf startete kurz nach 5 Uhr das Zwickauer 2-Takt-Pony in den Sonnenaufgang Richtung Mährische Walachei. Die 530 km Fahrt verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle, an der Grenze gab es nur eine Passkontrolle, beim Frühstück auf dem Rastplatz war meinem Bruder ein bisschen schlecht, aber wir spielten anschließend Autokennzeichenraten und da ging es ihm schnell besser. Kurioserweise konnte mein Bruder schon lesen, obwohl er erst im Herbst in die Schule kam. Aber er war intellektuell schon immer seiner Zeit voraus. Etwa 14:30 Uhr erreichten wir das Ziel: den Campingplatz in Prostřední Bečva, einem kleinen Ort in den Mährisch-Schlesischen Beskiden, einem Gebirgszug der Westbeskiden im Osten Tschechiens. 

Nachdem wir unsere zugewiesene Stellfläche gefunden hatten, begann sogleich der Zeltaufbau. Mein Vater und ich hatten bereits zu Hause das Gestänge (Grundfläche ca. 5 x 4 m) probeweise aufgebaut und sämtliche Kreuzstücke und Stangen farblich markiert, so dass sich alle auf dem Zeltplatz wunderten, wie schnell das Zelt in voller Schönheit stand. Mein Vater ist eben durch und durch Ingenieur. Mutter kochte das Abendessen. Es gab Nudeln mit leckerer selbst gemachter Tomatensauce. Diese verspeisten wir standesgemäß am Klapptisch, während wir auf den stoffbespannten Campingstühlen unter dem Zeltvordach saßen. Mutter zauberte jeden Tag ein leckeres Essen, was wir nach den ausgiebigen Wanderungen sehr genossen. Für die Essenszauberei bewundere ich sie noch heute.

Mein Bruder und ich

Die Mährisch-Schlesischen Beskiden sind ein wunderschönes waldbedecktes Gebirge, bei dem wir einige Gipfel wie den Radhošť (1.129 m) mit einer Kapelle auf dem Gipfel, den Lysá hora (1.323 m) mit seinem 78m hohen Fernsehturm und den Kněhyně (1.257 m), bei dem es unterhalb eine 250 m lange Höhle gibt, erwanderten. Auch erinnere ich mich noch, an das Freilichtmuseum in Rožnov pod Radhoštěm, bei dem die Volkskultur und das Handwerk der mährischen Walachen zu sehen sind. Es gab sogar einige Holzhäuser aus Städten und Dörfern der Umgebung, die mich sehr an die russischen Märchenfilme erinnerten. Maschenka und Daschenka habe ich leider nicht gesehen und zum Glück auch nicht Baba Jaga.

Abends spielten wir Feder- oder Fußball mit anderen Campingplatzbewohnern, das förderte die Völkerverständigung, denn neben den Sachsen, Thüringern, Brandenburgern und Berlinern waren auch Bayern da und natürlich Tschechen und Slovaken. Sobald es dunkel wurde, entfachten wir ein Lagerfeuer und die Jugend saß im Kreis und einer ließ seinen Stereokassettenrecorder laufen und es gab die neuesten Hits auf die Ohren. Im Prinzip liefen die beiden ersten Hits von Modern Talking („You’re My Heart, You’re My Soul“ und „You Can Win If You Want“) und das unsägliche „Live Is Life“ von Opus in Dauerschleife. Aber zum Glück waren auch hübsche Mädchen anwesend und das Knistern des Lagerfeuers. Daraus entwickelte sich eine mehrjährige Brieffreundschaft mit einer Jenenserin. Es waren unvergessliche Abende.

Die zwei Wochen vergingen wie im Fluge und eines Morgens mussten wir das Zelt abbauen und wieder alles verstauen. Unter leidenschaftlichem Verabschiedungswinken der Feder- und Fußballmannschaft tuckerten wir vom Zeltplatz, eine große Staubwolke hinter uns lassend, Richtung Heimat. An der Grenze standen wir ziemlich lange an, aber zum Glück wurden wir nur mit Blicken durch die Autoscheibe kontrolliert. Irgendwann Abends kamen wir von der langen Autofahrt völlig knülle zu Hause an. Erstmal Ausschlafen, am nächsten Tag auspacken und das Erlebte verarbeiten. Danach warteten neue Abenteuer auf mich. Die Ferien hatten ja erst begonnen.

P. S. Aus heutiger Sicht zolle ich dem 26 PS-Boliden noch immer meine größte Hochachtung, wie er sich tapfer mit vier Personen und einem vollen Anhänger durch die mitteleuropäischen Mittelgebirge quälte. Sächsische Handwerkskunst ist eben unverwüstlich.

2 Comments »

  1. Großartiger Text und so viele Dinge, die dabei in meinen Erinnerungen wieder erwachen. So ein Zelt hatten wir auch als Dauercamper die ganzen Sommerferien über. Und bei unserem Urlaub in der CSSR hatten wir damals Pech an der Grenze und unser Trabbi wurde fast komplett zerlegt. Gefunden haben sie nichts, denn die zusätzlichen Kronen waren in der Fotoapparat-Hülle, die ich als kleiner Junge um den Hals trug. An mich hat sich niemand heran gewagt.

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    • Ich finde es sehr schön, dass es dir auch so ähnlich erging, wie vielen anderen auch. Diese Erinnerungen sollten nicht in Vergessenheit geraten, deswegen habe ich sie aufgeschrieben. Schöne Erinnerungen braucht jeder Mensch!

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