Liebeserklärung an die Pellkartoffeln

Wenn die Pellkartoffeln auf dem Herd stehen und sanft vor sich hin köcheln, verströmen sie einen betörenden Duft, der sämtliche Wohnungsinsassen in die Küche lockt. Voller Frohlocken sitzen hungrige Mäuler am Tisch, um die gelben Kugeln, die sie sogleich vorsichtig, damit sie sich nicht die Finger verbrennen, pellen, um sie dann mit Quark, einer Prise Salz und goldgelbem Leinöl genüsslich zu verspeisen.

Bereits an dieser Stelle läuft mir beim Schreiben das Wasser im Munde zusammen. Ich selbst verfeinere den Quark mit Kräutern und/oder klein gehackten Zwiebeln, manchmal esse ich saure Gurken oder ein Stück feine Kalbsleberwurst dazu. Von Zeit zu Zeit ersetze ich den Kräuterquark durch Sour Cream. Aber die Basis bleiben die dampfenden Erdäpfel.

Exkurs: Kartoffeln bestehen zum Großteil aus Wasser, sie enthalten viele Kohlenhydrate, die aber nachhaltig sättigen. Da sie kaum Fett enthalten, sind sie relativ kalorienarm und enthalten zahlreiche Nährstoffe wie Vitamin B (B1, B2, B5 und B6), Vitamin C, Flavonoide (zellschützende Antioxidation) und Mineralstoffe wie Kalium, Kalzium, Phosphor und Magnesium. Die zellschützende Eigenschaft soll gegen zahlreiche Krankheiten schützen wie verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauferkrankungen und Alzheimer. Darüber hinaus lindern sie Entzündungen, senken den Blutdruck und stärken das Immunsystem.

Aber warum schmecken Pellkartoffeln eigentlich so gut? Durch das Garen mit der Schale der festkochenden bzw. vorwiegend festkochenden Kartoffeln bleiben Geschmacks- und Nährstoffe viel besser erhalten, als beim Zubereiten z. B. von Salzkartoffeln. Wenn sie frisch geerntet oder noch jung sind, kann man sie sogar mit der Pelle essen. Und wenn man ein wenig Kümmel in das Kochwasser gibt, wird es noch bekömmlicher. Ich spüre, wie die Kümmelgegner die Nase rümpfen. Einfach mal ausprobieren schafft neue Genüsse.

Ursprünglich kommt das Grundgericht aus der Lausitz, insbesondere aus dem Spreewald, wo es zum Nationalgericht erkoren wurde. Als „Arme Leute Essen“ tituliert, ist es allen bekannt, denn früher aßen die einfachen Leute, das, was auch verfügbar war: Kartoffeln, Milch und gequetschte Leinsamen.

Schnell verbreitete sich dieses einfache Gericht in weiteren Teilen Sachsens, Brandenburgs und Schlesiens. Im Erzgebirge kommt meist Leberwurst und Butter statt Leinöl auf den Teller, da die Bergleute viel Energie zum Arbeiten brauchten. In der Berliner Ecke wird es oft mit Heringssalat bzw. marinierten Hering gegessen.

In der Oberlausitz wird dazu Präglsaalz gereicht. Das ist altbackenes Brot, welches mit Speckwürfeln und geschnittenen Zwiebeln in der Pfanne gebraten und mit heißem Malzkaffee aufgegossen wird. Dazu kommen Salz, Pfeffer, Majoran und Kümmel und das Ganze wird solange gekocht, bis ein sämiger Brei entsteht. Diese kleine kulinarische Abschweifung sei mir an dieser Stelle erlaubt.

Natürlich kann man Pellkartoffeln auch mit Spargel, Fischfilets, gekochten Eiern oder Fleischscheiben verspeisen, der Fantasie und dem Geschmack sind keine Grenzen gesetzt. Mancher hat die Salzkartoffeln sogar komplett durch die gekochten Erdäpfel mit Schale ersetzt. Die Hauptsache ist, es schmeckt!

Im Laufe der Zeit und weil es eben so schmackhaft ist, erfreute es sich auch bei anderen Bevölkerungsschichten und in der heutigen Zeit steht dieses Gericht symbolisch für ein bescheidenes und bodenständiges Essen, welches von allen Bevölkerungsschichten geschätzt und auch geliebt wird.

Regional gibt es, wie für viele Dinge im Leben, unterschiedliche Bezeichnungen für Pellkartoffeln: In der Oberlausitz werden sie ganze Abern , im Rheinland Quellmänner, in Hessen Quellkartoffeln, im Saarland Quellesjer, in der Pfalz Gequellde und in Süddeutschland Gschwellti genannt. In Teilen von Österreich heißen sie Schälferler (Schälfe = Schale) oder werden einfach nur gekochte Erdäpfel genannt. Im Teilen vom Pinzgau nennt man sie Hoase Weana, was so viel wie Heiße Wiener bedeutet. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Und bestimmt gibt es noch weitere mundartliche Begriffe, die mich sehr interessieren und mir gern übermittelt werden können.

Pellkartoffeln kann man natürlich nicht nur pur essen, sie bilden auch die Grundlage für andere schmackhafte Gerichte wie Kartoffelsalat, Kartoffelpüree, Kartoffelklöße, Bratkartoffeln und so viel mehr. An dieser Stelle bietet sich ein weites Feld, sich als Hobbykoch so richtig auszuleben.

Dennoch mag ich die schlichte Zubereitungsform dieses Grundnahrungsmittels, serviert mit Quark und Leinöl am liebsten. Während ich das Köcheln der Erdäpfel im Hintergrund akustisch und olfaktorisch wahrnehme, kommen mir die als Abschiedsworte deklarierte Liebeserklärung an die Pellkartoffeln, von dem von mir sehr geschätzten Joachim Ringelnatz, in den Sinn. Wie recht er doch damit hat. Guten Appetit!

Abschiedsworte an Pellka (1934)
Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! – – Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Mußt nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?
Du bist ein so rührend junges Blut. –
Deshalb schmeckst du besonders gut.
Wenn das auch egoistisch klingt,
So tröste dich damit, du wundervolle
Pellka, daß du eine Edelknolle
Warst, und daß dich ein Kenner verschlingt.

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