Der Versuch, einen Schmetterling zu zähmen.

Als die Morgen kühler werden und braunkappige Butterpilze zwischen Gras und Spinnweben wachsen, fliegt ein Tagpfauenauge in das Zimmer des Mädchens. „Er hat sich verflattert“, ruft sie und ist glücklich, als er auch am dritten Tag noch an ihrer Gardine hängt. Ab und zu gaukelt er durchs Zimmer.

„Endlich habe ich auch ein Tier!“ Das Mädchen bettelt: „Warum kann ich mir keinen Schmetterling zähmen? Bestimmt bleibt er freiwillig im Zimmer!“ Dass ein Tagpfauenauge den Winter nicht überlebt, wollte sie nicht wahrhaben.

Doch je kürzer die Tage werden, desto länger schläft der Schmetterling. Von Tag zu Tag wird er blasser wie die Sonne im November. Er kann nicht mehr fliegen. Eines Tages fällt er wie ein Ascheflöckchen von der Gardine. Das Mädchen ist traurig. Sie öffnet das Fenster. Vielleicht hilft die frische Luft ihrem Tier. Doch der Wind hebt das Flöckchen auf und trägt es aus dem Zimmer hinaus, die Wiese entlang, zum Feld hinüber. Mit tränenbedecktem Gesicht steht das Mädchen am offenen Fenster.

Im nächsten Sommer kommt ein Tagpfauenauge aus den hohen Brennnesseln geflattert, lässt sich neben dem Mädchen nieder und klappt die Flügel hoch und wieder auseinander. Der blaue Augenfleck leuchtet auf.

Sie lächelt und weiß nun, dass man nicht besitzen muss, was man liebt.

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